Die Großinsolvenzen bei den Zulieferern im Automobilbau halten weiter an. Bis Ende November haben bereits 49 Unternehmen mit einem Umsatz größer 10 Mio. Euro einen Insolvenzantrag gestellt – davon sieben im vergangenen Monat. „Trotz zuletzt wieder steigenden Produktionszahlen kämpft die Branche weiterhin gegen die Corona-Folgen und den technologischen Wandel. Das Vorjahresjahresergebnis von 2019 wird um 75 Prozent deutlich übertroffen. Damals waren es lediglich 28 Unternehmen“, erklärt Falkensteg-Partner Wolfram Lenzen. Auffällig sind die vielen Insolvenzen bei Unternehmen mit einem Umsatz größer 100 Mio. Euro. Hier stieg die Zahl von drei im Vorjahr auf 16 – darunter der Zulieferer Veritas, der Druckgusskomponenten-Hersteller KSM Castings Group und der LKW-Kran-Bauer Tadano.

Über alle Branchen hinweg sehen die Zahlen weniger dramatisch aus. 251 Großunternehmen mussten den Gang zum Insolvenzgericht antreten. Das entspricht einem Anstieg zum Gesamtvorjahr von 37 Prozent. Dass die Insolvenzwelle dennoch ausgebliegen ist, dürfte an den staatlichen Hilfskrediten und der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die für überschuldete Unternehmen noch bis Jahresende greift, liegen.

Insolvenzanträge im Automobilbereich

Zusätzlich hat die Kurzarbeit die Zahlen weiter gedrückt. Besonders Maschinen- und Fahrzeugbauer sowie deren Zulieferer nutzen die Unterstützungsmaßnahme. In diesen beiden Branchen waren zuletzt im Mai zwischen 300.000 und 680.000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Die meisten Kurzarbeiter gab es in NRW (1,1 Millionen), Bayern (1,0 Millionen) und Baden-Württemberg (1,0 Millionen). Süddeutschland ist wegen der hohen Abhängigkeit vom Maschinenbau sowie der Automobil- und Zulieferindustrie am stärksten betroffen.

Warten aufs neue Sanierungsgesetz

Die vielen Baustellen Nachfrageschwäche, sinkende Volumen und Margen, Handelsbeschränkungen, kostenintensive Zukunftsprojekte und strengere Emissionsauflagen werden der Branche weiter unter Druck setzen. Sanierungsexperte Wolfram Lenzen erwartet, dass sich die Produktionszahlen frühestens in drei bis vier Jahren wieder erholen werden. Bis dahin steht die profitable Auslastung im Mittelpunkt. Zudem könnte der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, kurz Starug, die angeschlagenen Unternehmen aus der Krise führen.

„Das Gesetz richtet sich an Unternehmen in Schieflage, die ein gesundes Geschäftsmodell vorweisen, aber beispielsweise hohe Finanzverbindlichkeiten angesammelt haben“, weiß Lenzen. Das Unternehmen darf nur drohend zahlungsunfähig sein. Kernelement des Starug ist der Restrukturierungsplan, mit dem diese Finanzverbindlichkeiten abgeschnitten werden können. Der Plan gibt Antworten auf die Fragen: Welche Maßnahmen sind für die erfolgreiche Restrukturierung notwendig? Wie können diese Maßnahmen umgesetzt werden? Wie bleibt das Unternehmen während des Verfahrens wirtschaftlich stabil?

Restrukturierungsmaßnahmen sind frei gestaltbar

Die Anforderungen an den Restrukturierungsplan sind vom Gesetz vorgeschrieben. Welche Maßnahmen getroffen werden, sind dem Unternehmen jedoch freigestellt. Neu in der Restrukturierungswelt ist die Planabstimmung mit den betroffenen Gläubigern außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Bisher mussten bei einer außergerichtlichen Sanierung alle Gläubiger dem Vorhaben zustimmen. Sogenannte Akkordstörer konnte die Sanierung durch Gegenstimmen verhindern. Künftig werden die Gläubiger in Gruppe unterteilt. Stimmen 75 Prozent der Restrukturierungsforderung in einer Gruppe sowie eine Mehrheit der Gruppen zu, dann kann der Plan umgesetzt werden. Weiterhin geben Vollstreckungs- und Verwertungssperren ausreichend Zeit und Ruhe zur Ausarbeitung des Restrukturierungsplans.

Startschuss Anfang 2021 noch fraglich

Die Bundesregierung drängt im Gesetzgebungsverfahren zur Eile und will das Starug bis zum 1. Januar umgesetzt haben. Schließlich soll das neue Sanierungsgesetz die Insolvenz infolge der Coronakrise vermeiden. Einige Politiker und Verbände warnen dagegen. Für sie sei das Gesetz mit heißer Nadel gestrickt und werfe noch viele Fragen auf. Insbesondere die Beendigung von laufenden Verträgen durch den Schuldner gehe zu weit. Bisher ist das nur in einem Insolvenzverfahren möglich. Bis Juli 2021 muss das Gesetz nach EU-Vorgaben jedoch in Kraft treten.